Wie der Traum vom Schreiben zurückgekehrt ist
Mirjam Münger
15.02.2023
Bei mir ist die Gehörlosigkeit angeboren und kombiniert mit der Sehbehinderung Retinitis Pigmentosa. Diese Hörsehbehinderung heisst «Usher Syndrom». Ich bin eine der acht «Reporter:innen ohne Barrieren» und möchten in der Medienwelt mit meiner Sichtweise und meinen Anliegen mehr präsent sein.
Mein zerplatzter Traum
Mein Traum war, beruflich in eine schreibende Tätigkeit einzusteigen. Doch ich erfuhr, dass mein Deutsch-Aufsatz, den ich während den Matur-Prüfungen geschrieben hatte, ungenügend war. Darüber war ich fassungslos und mein Traum zerplatzte. Zurück blieb ein Gefühl des Bedauerns.
Unsicherheit beim Schreiben
Mein Weg führte in den sozialen Bereich. Seit über 20 Jahren arbeite ich in der Beratungsstelle für Schwerhörige und Gehörlose BFSUG Bern. Eine meiner Aufgaben ist, gelegentlich Texte für den Newsletter oder für Zeitschriften zu erstellen. Dabei verspürte ich eine Unsicherheit. Mehr als einmal dachte ich, dass ich mehr Werkzeuge fürs Schreiben gebrauchen könnte.
Vielversprechendes Übungsfeld
Auf Facebook entdeckte ich die Ausschreibung für den Freizeitkurs «Reporter:innen ohne Barrieren» von Inclusion Handicap und dachte:
Auch erinnerte ich mich wieder an den Traum, mit Texten zu arbeiten. Ich meldete mich an und an sieben Kurstagen bekam ich viele wertvolle Inputs. Nun hiess es, sie praktisch umzusetzen.
Die erste Feuerprobe mit Hürden
Ich erfuhr von der Debatte im Grossen Rat des Kantons Bern über das Behindertenleistungsgesetz, die von Gebärdensprachdolmetscherinnen übersetzen werden würde. Am besagten Tag begab ich mich zum Rathaus, um darüber zu berichten. Dort hiess es, die Dolmetscherinnen seien irrtümlicherweise für einen anderen Tag organisiert worden. Das bedeutete, dass ich und andere gehörlose Menschen von der Debatte nichts verstehen würden. Zwei nette Personen, die diesem Anlass beiwohnten, vermittelten uns mit Stichwörtern und Zusammenfassungen, worüber debattiert wurde. Für den letzten Teil der Lesung, konnte kurzfristig eine Dolmetscherin aufgeboten werden.
Wichtigkeit der Berichterstattung von Menschen mit Behinderungen über ihre Themen
Nach der Debatte fragte ich mich verzweifelt, wie ich aus den Bruchstücken, die ich mitbekommen hatte, einen Bericht ausarbeiten konnte. Am nächsten Tag recherchierte ich in den Zeitungen und hoffte, auf mehr Informationen zu stossen. In einer entdeckte ich einen kurzen Artikel. Das war alles, was ich zum Ereignis, das weitreichende Folgen für eine grosse Gruppe von Menschen mit Behinderungen vom Kanton Bern haben würde, finden konnte. Das erschütterte mich und zeigte zugleich auf, wie wichtig es ist, über solche Themen zu berichten, auch von Menschen mit Behinderungen selbst. Das spornte mich an, einen umfassenden Artikel zu verfassen. Die Telefonate mit der Geschäftsführerin der Kantonalen Behindertenkonferenz und Grossrätin Simone Leuenberger halfen mir sehr, den Bericht zu vervollständigen. Aus dem Telefonat mit Leuenberger entstand zudem ein spannendes Interview.
Podcast
SRF 1
Mirjam Münger: Eine Reporterin mit Gehörlosigkeit
Der wiedergefundene Traum
Der Grundkurs «Reporter:innen ohne Barrieren» war der erste Schritt. Ich bin motiviert, das Schreib-Handwerk in weiteren Kursen zu trainieren und zu verbessern. Mir fällt es leicht über Themen der Menschen mit Hörbehinderung zu berichten, da sie mir vertraut sind. Ich bin auch auf den Geschmack gekommen, anderen Themen nachzugehen und darüber zu schreiben, wie über die Behindertenpolitik, verschiedene Menschen und ihre Erlebnisse und viele weitere. Der Traum, der damals zerplatzt ist, ist wieder zurückgekehrt und ein Stück weit Realität geworden. Ich freue mich, mich ihm weiter anzunähern.
Bildquelle: ©Marcel Rolli von Studium Punctum